Um einen Platz in einem Aufsichtsrat kann und sollte man sich nicht bewerben. In ein Aufsichtsgremium wird man nur bei ausreichender fachlicher und persönlicher Qualifikation berufen. Eine Berufung bedeutet aber nicht automatisch eine Bestätigung der entsprechenden Eignung. Eine persönliche Eignung hat man oder hat man nicht.
Im Vorfeld ist daher eine umfangreiche und ehrliche Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen unabdingbar. Ehrlichkeit zu sich selbst ist dabei hilfreich. Schnell belügt man sich selbst im Sinne von ‚Ich würde es mir zutrauen, aber mich fragt niemand’. Ohne vorher ausreichend analysiert zu haben, ob das ‚Zutrauen’ auch auf ein ausreichendes ‚Vertrauen’ aufgrund fachlicher Qualifikation und persönlicher Kompetenzen basiert.
1. Fachliche Qualifikationen
Die Anforderungen an die fachliche Qualifikation variiert stark in den beiden wesentlichen Bereichen:
- Branche und Größe des Unternehmens
Ein Börsenunternehmen hat andere fachliche Anforderungen als ein Kreditinstitut. Ein privates Unternehmen andere als ein öffentliches Unternehmen. Ein sozialwirtschaftliches oder kirchliches Unternehmen andere als ein mittelständisches Familienunternehmen.
- Aufgabe und Funktion im Aufsichtsgremium
2. Persönliche Kompetenzen
Persönliche Kompetenzen werden gerne in einer ehrlichen Selbsteinschätzung (siehe oben) falsch interpretiert. Neben Empathie und Liebe zum Unternehmen, Neugierde und Innovationsfähigkeit sind die folgenden Charaktereigenschaften und Merkmale besonders erforderlich:
- Wie ist meine Sinn- und Werte-Orientierung?
„Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“. In diesem Sinne kommt dem Aufsichtsrat als oberste Überwachungsinstanz eines Unternehmens eine besondere Rolle zu. Neben der Einhaltung aller operativen Zielsetzungen ist er der oberste Wächter der Werte und der Ethik des Unternehmens.
Er kann sich nicht auf die Rolle des ‚Verantwortung Tragenden’ zurückziehen, sondern muss diese Verantwortung in seiner täglichen praktischen Arbeit (vor-) leben. Er muss Orientierung geben.
Reputation und Persönlichkeit sind die Basis für Authentizität, Integrität und Aufrichtigkeit eines glaubwürdigen und verlässlichen Aufsichtsrats, dem man jederzeit vertrauen kann. „Es ist besser, Zeit zu verlieren, als den Charakter“ sagt ein jamaikanisches Sprichwort.
- Bin ich unabhängig?
Aufsichtsräte müssen die Fähigkeit zur (Eigen-) Reflexion, des Überdenkens und Unterbrechens besitzen. Dazu müssen sie emotional, materiell und persönlich unabhängig sein. Unabhängigkeit bedeutet im Wesentlichen geistige Freiheit: Freiheit, die es jedem tapferen und mutigen Mitglied des Aufsichtsrats ermöglicht, ungestraft Kritik an den bestehenden Verhältnissen und agierenden Personen zu üben und auszusprechen. Sie kritisieren und widersprechen bei Bedarf auch ihrem Aufsichtsratsvorsitzenden und/oder dem Mehrheitsaktionär (einschließlich Vertretern von sogenannten Private Equity Häusern) zum Wohle des Unternehmens.
- Ist meine zeitliche Verfügbarkeit ausreichend gegeben?
Oft unterschätzen Mitglieder eines Aufsichtsgremiums den Zeitbedarf und die terminliche Flexibilität für ein Mandat. Persönliche Vorbereitung der Sitzungsteilnahme, Sitzungsteilnahme selbst, Nachbereitung der Sitzungsteilnahme, zwischenzeitliche Verfügbarkeit (insbesondere in Krisensituationen) und Kommunikation mit den Gremiumskollegen, zusätzliche persönliche Informationsversorgung (z.B. Studieren der Branchenfachnachrichten), Fort- und Weiterbildung (z.B. in der sich schnell ändernden Gesetzgebung und Rechtsprechung) erfordern einen großen zeitlichen Aufwand und Flexibilität des Aufsichtsrats.
- Bin ich ein Unternehmer?
Motivation für den unternehmerischen, nachweisbaren Erfolg zeichnen Unternehmer aus. Das emotionale Streben nach Sinn- und Werte-Orientierung, nach Zielen und Zielobjekten, das Streben nach außergewöhnlichen Produkten und zufriedenen Kunden und das Antreiben aller verfügbaren Ressourcen und Kräfte prägen den Unternehmer. Das gilt auch für Mitglieder eines Aufsichtsgremiums. Auch hier müssen Unternehmer-Persönlichkeiten vertreten sein. „Nur Unternehmer überwachen Unternehmer“ ist ein allgemein akzeptiertes Berufungskriterium.
- Was ist mein besonderer Beitrag und Mehrwert?
Die zentrale Kernfrage lautet: Welchen USP (Unique Selling Point) habe ich? Bin ich ein ‚Digitale Native‘ oder nur ein ‚alter weißer Mann‘? Welchen Mehrwert kann ich als Mitglied eines Aufsichtsgremiums dem betreffenden Unternehmen bieten? Bringe ich ‚Exzellenz‘ oder nur ‚Mittelmaß‘ mit? Passe ich mit meiner Individualkompetenz in eine vorhandene Gruppe hinein? Kenne ich überhaupt die Gruppenkompetenz meiner zukünftigen Kollegen?
Welche Rollen sind im Aufsichtsgremium schon besetzt und welche Rolle ist noch unbesetzt? Wie sind die verschieden ‚Diversity-Fragen’ (z.B. Alter, Nationalität, Kultur, Geschlecht, Frauenquote) geklärt? Braucht es z.B. einen Experten für Changemanagement oder einen erfahrenen Wirtschaftsmediator?
3. Fazit
Eine fachliche Qualifikation ist nur Fundament und Grundvoraussetzung für eine Mandatsübernahme. Die persönlichen Kompetenzen, der Charakter und die Persönlichkeit entscheiden maßgeblich, ob ein Aufsichtsratsmitglied einen wertvollen und wertsteigernden Beitrag für ein Unternehmen liefern kann. Insgesamt muss ein neues Aufsichtsratsmitglied komplementäre und/oder ergänzte Qualifikationen und Kompetenzen mitbringen, damit es in Augenhöhe mit seinen zukünftigen Aufsichtskollegen diskutieren und entscheiden kann. Moderne Aufsichtsräte kombinieren den kritischen, unabhängigen Blick von außen mit Offenheit, Neugierde und Veränderungswillen.
Der Autor: Rudolf X. Ruter
Rudolf X. Ruter ist ausgewiesener Experte in den Bereichen Corporate Governance, Nachhaltigkeit und Financial Expert im Sinne des deutschen Aktiengesetzes. Er ist Wirtschaftswissenschafter, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer und einer der Referenten des Zertifikatslehrgangs „Professionelle Aufsichtsrats- und Gremientätigkeit“ an der Donau-Universität Krems.
Mit Plan zum Erfolg
Das Buch von Herrn Ruter bietet auf 132 Seiten einen umfassenden Einblick in das Geschäft von Aufsichtsräten und Beiräten und deren soziokulturellem Umfeld. Ruter vermittelt schonungslos, was einen guten Kandidaten ausmacht und was nicht. Das beinhaltet auch die Aufforderung, sich eine Reihe von Fragen in Form einer Checklist zu stellen. So simpel die Methode, so sehr eröffnet sich dem Leser die Erfahrung und Sachkenntnis von Rudolf Ruter – für den Leser ein unglaublicher Gewinn. Das von Friedrich von Dürrenmatt angeführte Zitat fasst das perfekt zusammen: „Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer trifft sie der Zufall“. Ruter zufolge erspart das Buch 100 Stunden Eigenrecherche. Ich teile diese Einschätzung und halte den Wert bei weitem zu niedrig angesetzt. Das Buch ist im Erich Schmid Verlag erschienen.