Detaillierte Richtlinien und wohlklingende Ethik-Kodizes legen allzu oft den Trugschluss nahe, dass Unternehmen ein Hort der Tugend sind. Worauf Aufsichtsräte wirklich achten müssen, um Skandalen vorzubeugen – gerade in der Corona-Krise.

Die Formulierung ist unmissverständlich: Aufsichtsräte müssten sich „regelmäßig, zeitnah und umfassend“ über Compliance-Fragen informieren, heißt es im Corporate-Governance-Kodex. Zudem empfiehlt das Regelwerk einen Prüfungsausschuss, der sich mit „der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems“ befasst.

Damit ist kodifiziert, was naheliegt: Aufsichtsräte tragen Verantwortung dafür, dass Mitarbeiter Gesetze und andere Vorgaben einhalten. Und spätestens nach den Korruptionsskandalen der letzten 15 Jahre ist das mehr als graue Theorie. Auch auf Druck der Aufsichtsräte haben Vorstände in den letzten Jahren detaillierte Compliance-Richtlinien und ambitionierte Ethik-Kodizes erarbeiten lassen.

Damit ist die Gefahr von Regelverstößen und Korruptionsskandalen allerdings keineswegs gebannt. Denn machen wir uns nichts vor: Manche Menschen neigen zu kleinen oder großen Regelbrüchen. Was niedergeschrieben wird, ist deshalb noch lange nicht geregelt. Und auch das beste Kontrollsystem lässt sich im Alltag aushebeln.

Gerade Aufsichtsräte sollten sich deshalb nicht von wohlklingenden Richt- und Leitlinien blenden lassen. Denn gerade jetzt könnte sich in vermeintlichen Horten der Tugend trotz aller Vorgaben und Kontrollen Unheil zusammenbrauen. Schließlich wächst in Krisenzeiten die Gefahr, dass sich einzelne Mitarbeiter zu Regelüberschreitungen hinreißen lassen, um das Geschäft anzukurbeln oder Kosten zu reduzieren.

Doch mal ein Auge zudrücken?

Aufsichtsräte, die ihrer Verantwortung gerecht werden wollen, dürfen es deshalb nicht bei einem formalistischen Blick auf Regelwerk und Kontrollsysteme belassen. Statt die Compliance den Controllern und Juristen zu überlassen und auf deren Aussagen zu vertrauen, müssen sie Menschen in den Blick nehmen – und damit vermeintlich „weiche Faktoren“.

Wichtige Fragen dabei sind: Wie ticken die Vorstände – und leben sie die Werte, die sie propagieren, im Arbeitsalltag vor? Stoßen sie Diskussionen über Prinzipien und deren Auslegung in heiklen Situationen an? Senden sie die unmissverständliche Botschaft, dass sie lieber auf Umsätze verzichten, statt mit unlauteren Methoden nachzuhelfen?

Ich fürchte: In Krisenzeiten könnte das eine oder andere vollmundige Bekenntnis in Vergessenheit geraten. Das mag menschlich verständlich sein, wenn es ums Ganze geht. Aber es ist brandgefährlich – für Entscheider persönlich, aber auch für Unternehmen.

Schließlich drohen neben juristischen Konsequenzen schwere Reputationsschäden. Kurzfristige Rettungsaktionen hätten dann langfristig verheerende Folgen; Unternehmen könnten geschwächt aus der Krise hervorgehen.

Boni als Compliance-Risiko

Zum Blick auf die Menschen gehört eine Analyse der Anreize. Denn von Compliance-Richtlinien und Boni-Systemen gehen nicht immer identische Signale aus. Beispiel Vertrieb: Wenn Vorständen und Top-Verkäufern für Umsatzzuwächse üppige Tantiemen winken, könnte das in bestimmten Fällen Anreize schaffen, die Regeln nicht ganz so genau zu nehmen – etwa bei Geschenken an Geschäftspartner.

Aufsichtsräte müssen Vergütungssysteme deshalb nicht nur nach formalen Kriterien analysieren, sondern zudem hinterfragen, welche Vertriebskultur sie fördern. Sie dürfen sich nicht als oberste Wirtschaftsprüfer verstehen, sondern als Hüter der Unternehmenskultur.

Das kann in Sachen Compliance bedeuten, die Devise „weniger ist mehr“ auszugeben: Weniger kleinteilige Vorgaben machen, die Mitarbeiter als Gängelung empfinden. Weniger blumige Formulierungen wählen, die hinter vorgehaltener Hand belächelt werden. Denn dadurch wächst die Offenheit für ehrliche Diskussionen über Werte und konkrete Herausforderungen im Arbeitsalltag. Reflexion ist effektiver als Regulierung.

 

Geschrieben von Daniel Schönwitz


Board,  Gastautoren


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