Analysehäuser veröffentlichen neue Kennziffern zu den ESG-Anstrengungen von Unternehmen – und erhöhen damit den Druck auf Entscheider. Auch der kürzlich veröffentlichte IPCC- Bericht über die weltweite Klimaerwärmung verleiht diesem Thema eine bedrohliche Portion Nachdruck. Der Haken: Oftmals sind veröffentlichte ESG- Kennzahlen nicht klar nachvollziehbar und führen vielfach in die Irre.

 

Digitale Tools sollen für Governance-Transparenz sorgen

PR-Floskeln oder echter Wandel? Das will die Politik genauer wissen: Mit einer Serie von Verordnungen, Richtlinien und Gesetzen verpflichten Bundesregierung und EU-Kommission die Unternehmen derzeit, mehr Informationen über ihre Geschäftsaktivitäten zu liefern. Im Zentrum stehen dabei – natürlich – die CO2-Emissionen.

Die Vorgaben sind eine Steilvorlage für spezialisierte Ratingagenturen, Analysehäuser und NGOs, die Daten auswerten und vermeintlich aussagekräftige Kennziffern beziffern. Da wäre zum Beispiel der sogenannte Erwärmungsbeitrag, der folgende Frage beantworten soll: Wie stark wird die Erde aufheizen, wenn sämtliche Unternehmen so agieren wie das Untersuchte?

Auch im Bereich Governance etablieren sich derzeit neue ESG-Kennzahlen, um Fortschritte von Unternehmen zu bewerten. Beliebt sind etwa die „Board Independence“ (prozentualer Anteil unabhängiger Aufsichtsräte) und die „Board Diversity“ (Frauenquote in Vorständen, Aufsichtsräten und anderen Gremien).

Dank neuer Online-Plattformen und -Tools sind die Zahlen und Bewertungen von Großunternehmen immer öfter kostenlos im Internet abrufbar. So veröffentlichten mindestens zwei ESG-Analysehäuser Erwärmungsbeiträge für sämtliche Dax-Unternehmen. Das erhöht den Druck auf Entscheider spürbar.

 

Wenn die Falschen unter Druck geraten

Keine Frage: Der Versuch, für Transparenz zu sorgen und Greenwashing zu entlarven, ist löblich. Allerdings scheitert er bisweilen daran, dass Kennzahlen nur begrenzte Aussagekraft besitzen oder gar in die Irre führen. Das birgt die Gefahr, dass die Falschen unter Druck geraten – und zugleich Milliarden von Anlegergeldern an grüne Scheinriesen fließen.

Nehmen wir den Erwärmungsbeitrag, der wunderbar eingängig ist und sich deshalb wachsender Beliebtheit erfreut. Einige Dax-Unternehmen kommen hier auf Werte von weniger als zwei Grad und scheinen damit schon jetzt im Einklang mit den Pariser Klimazielen zu stehen. Also kein weiterer Handlungsbedarf?

Wer genauer hinsieht, wird feststellen: Manche Analysten berücksichtigen lediglich Treibhausgase, die direkt oder indirekt durch den Produktionsprozess entstehen. Außen vor bleibt dagegen, welche Emissionen die Produkte eines Unternehmens verursachen („Scope 3“).

Diese Berechnungsmethode spielt beispielsweise Autoherstellern in die Karten. Zugespitzt formuliert: Sie erscheinen als Klima-Musterknaben, sobald sie Firmenzentralen optimal gedämmt, Werkshallen mit Solarpanelen gepflastert und auf Recyclingpapier umgestellt haben. Welche Autos sie verkaufen, scheint hingegen irrelevant zu sein.

 

Vielfalt ist mehr als die Frauenquote

Auch im Bereich „Governance“ besteht die Gefahr, dass ESG-Kennzahlen für eine verzerrte Wahrnehmung sorgen und die Falschen unter Druck setzen. So stellt die „Board Diversity“ in der Regel allein auf das Geschlechterverhältnis ab. Vielfalt ist aber viel mehr: Es geht um unterschiedliche Perspektiven und Denkmuster; das Geschlecht ist dabei nur einer von mehreren Faktoren.

Um die Diversity zu erhöhen, kann es deshalb auch sinnvoll sein, Experten gleichen Geschlechts in ein Gremium zu holen – etwa, wenn sie aus einer anderen Generation, einer anderen sozialen Schicht oder einem anderen Kulturkreis stammen.

An dieser Stelle zeigt sich das Dilemma der neuen Informationsangebote besonders eindrucksvoll: Bei der (wünschenswerten) Reduktion komplexer Sachverhalte bleiben wichtige Fakten und Nuancen außen vor. Kennzahlen stärken den Fokus, aber verengen meistens den Blick.

 

Fazit

An dieser Stelle zeigt sich das Dilemma der neuen Informationsangebote besonders eindrucksvoll: Bei der (wünschenswerten) Reduktion komplexer Sachverhalte bleiben wichtige Fakten und Nuancen außen vor. Kennzahlen stärken den Fokus, aber können den Blick verengen.

Also lieber auf Ziffern verzichten? Nein! – aber sie müssen besser werden. Der Erwärmungsbeitrag etwa wird nur adäquat abgebildet, wenn Analysten auch die Treibhausgas-Emissionen der Produkte einbeziehen. Jene, die das mit Verweis auf fehlende Daten und methodische Unsicherheiten ablehnen, sollten die Kennzahlen besser aus ihrem Info-Angebot streichen.

 

Geschrieben von Daniel Schönwitz


Board,  Good Governance


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