Unternehmen sollen allein zum Wohl ihrer Aktionäre wirtschaften? Wer dieser Tage Top-Managern lauscht, könnte glauben, dass dieses Denken längst überwunden ist. Warum das nicht stimmt – und was sich ändern muss.

In den USA, der Heimat des Finanzkapitalismus, klangen im vergangenen Jahr ungewohnte Töne an: Fast 200 Top-Manager veröffentlichten ein Papier, in dem sie den Zweck ihrer Unternehmen neu definierten. „Jeder unserer Stakeholder ist essentiell“, hieß es darin. „Wir bekennen uns dazu, ihnen allen Mehrwert zu liefern.“

Klarer hätte die Abkehr von der „Shareholder-Value“-Philosophie Milton Friedmans, der zufolge Unternehmen allein ihren Aktionären verpflichtet sind, kaum ausfallen können.

Jenen, die jetzt einen US-Trend wittern, der – wie so oft – wenig später den Alten Kontinent erreicht, sei gesagt: Diesmal ist es umgekehrt. In Europa ist der sogenannte „Stakeholder Value“ dank der Sozialen Marktwirtschaft bereits stärker verankert als in Übersee. So sorgt die deutsche Mitbestimmung dafür, dass die Interessen der Arbeitnehmer nicht zu kurz kommen.

Also alles gut? Nein, denn auch hierzulande können aggressive Investoren ihre (kurzfristigen) Interessen – also etwa hohe Dividenden oder kurstreibende Aktienrückkäufe – zulasten anderer Stakeholder durchsetzen. Manches Loblied auf den „Stakeholder Value“, also ein Wirtschaften zum Wohle von Unternehmen und Gesellschaft, ist deshalb auch hierzulande nur ein Lippenbekenntnis.

Der Aufsichtsrat als Bollwerk gegen Spekulanten

Sicher: Bisweilen legen Shareholder-Value-Maximierer treffsicher den Finger in die Wunde und schieben wichtige Veränderungen wie den Verkauf einer unrentablen Sparte an. Aber unterm Strich zeigt sich immer wieder, dass Unternehmen unter dem Druck von Investoren zu wenig in die Zukunft investieren – also in die Forschung, die Weiterbildung oder den Kauf von Startups. Das ist gerade im Zeitalter der digitalen Transformation gefährlich.

Ich bin überzeugt, dass die steigende Zahl der Kampagnen „aktivistischer“ Aktionäre ein wesentlicher Treiber für den derzeitigen Delisting-Trend ist: Wer kann, flüchtet von der Börse. Auch deshalb sollten wir den Einfluss kurzfristig orientierter Investoren begrenzen, ohne Eigentümerrechte auszuhebeln. Aber wie?

Hier ist auch der Gesetzgeber gefordert. So könnte die Bundesregierung langfristiges Denken fördern, indem sie eine mehrjährige Spekulationsfrist einführt – nur ausdauernde Aktionäre könnten dann steuerfreie Gewinne einstreichen. Zudem ließe sich das Lager treuer Investoren stärken, indem die Politik Pensionskassen höhere Aktienquoten ermöglicht und Mitarbeiterbeteiligungen stärker fördert.

Wichtig wäre zudem eine Stärkung der Kontrollgremien, um sie zum Bollwerk gegen Spekulanten zu machen. Dazu könnte die Börse unabhängige Aufsichtsräte zur Bedingung für ein Listing machen.

Sollte Luisa Neubauer Unternehmen überwachen?

Unabhängig von etwaiger Schützenhilfe durch Gesetzgeber und/oder Börse sind Aufsichtsratschefs gefordert, den „Stakeholder Value“ in der unternehmerischen Praxis zu verankern. Das heißt konkret: Sie müssen verstärkt Vertreter von Gruppen in die Aufsichtsräte holen, die unterrepräsentiert sind.

Und nein, es muss nicht gleich die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer sein, die Joe Kaeser zu Siemens lotsen wollte. Aber was spricht dagegen, bei NGOs nach Kandidaten zu suchen – sei es bei Welthungerhilfe, dem WWF, einem Verbraucherschutzverband oder Transparency International?

Ich bin sicher, dass deren Vertreter die Diskussionen in die Gremien bereichern und das Unternehmen voranbringen können. Denn ihre Hinweise würden helfen, geschäftliche Aktivitäten in Einklang mit den Erwartungen der Gesellschaft zu bringen und Skandalen vorzubeugen.

Damit sie nicht im luftleeren Raum argumentieren, sind betriebswirtschaftliche Kenntnisse jedoch unverzichtbar. Zudem darf ihre Nominierung nicht zulasten von Kernkompetenzen gehen: Gremien brauchen natürlich weiter Mitglieder mit unternehmerischer Erfahrung, Management-Expertise und Technologie-Knowhow. „Stakeholder Value“ heißt nicht „Aktionäre raus“.

Und vergessen wir nicht: In mitbestimmten Aufsichtsräten ist mit den Arbeitnehmern eine Gruppe bereits stark repräsentiert. Damit wir nicht von einem Extrem ins andere verfallen und Eigentümer ausbooten, müssen wir deshalb auch über eine Reform der Mitbestimmung reden: Warum sollten nicht auch Arbeitnehmer verstärkt Vertreter der Zivilgesellschaft für den Aufsichtsrat nominieren?

Wenn wir akzeptieren, dass es neben Aktionären und Mitarbeitern weitere Stakeholder gibt und die Zweiteilung ausgedient hat, wäre das nur konsequent.

 

Geschrieben von Daniel Schönwitz


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