Ein Aufsichtsratsmandat ist oft Ergebnis langjährigen Networkings. Dabei bräuchten wir mehr Experten, die sich – ganz bewusst – nicht in etablierten Netzwerken bewegen. Somit könnten Aufsichtsräte jetzt neue Wege beschreiten.
Auf der Suche nach neuen Mitgliedern
Experten aus dem eigenen Umfeld fragen? Oder doch lieber einen Personalberater einschalten? Aufsichtsratschefs, die neue Mitglieder für ihr Gremium suchen, entscheiden sich meist für eine dieser beiden Varianten. Wobei die Tendenz seit einigen Jahren klar in Richtung Personalberater geht – nicht zuletzt wegen gestiegener Erwartungen an Diversity, Unabhängigkeit und Professionalität.
Allerdings hat auch diese Form der Nachfolgeplanung einen Nachteil: Ob der Berater tatsächlich gute Kandidaten findet, hängt ganz wesentlich von seinem Netzwerk ab. Und auch dort fehlt es oft an Experten, die für Überwachungsgremien besonders interessant wären.
Denn in Netzwerken dominieren typischerweise „Networker“ Menschen also, die gezielt Kontakte aufbauen und pflegen. Die zu Veranstaltungen gehen, Visitenkarten verteilen, Small Talk beherrschen. Die auf beruflichen Social-Media-Plattformen aktiv sind.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden, im Gegenteil. Aber das Übergewicht der Netzwerker trägt dazu bei, dass Aufsichtsräten noch immer zu oft dieselben Leute auftauchen. Dass es weiter personelle Verflechtungen gibt (eine Art „Deutschland AG light“). Und dass zu selten und zu spät frischer Wind in die Gremien kommt. Dabei wäre das angesichts der digitalen und grünen Transformation wichtiger ist denn je.
Wer unter dem Radar bleibt
Die Frage lautet also: Wie mobilisieren wir mehr von denen, die bislang unter dem Radar bleiben? Ich denke etwa an Frauen, die seltener strategisches Networking betreiben als Männer. An Nachwuchskräfte, die sich in anderen Kreisen bewegen als Personalberater. Oder an Experten mit überschaubarem Small-Talk-Talent, aber umso größerer Bereitschaft, unangenehme Fragen zu stellen.
Ich bin überzeugt: Hier schlummert ein großes Reservoir für Deutschlands Aufsichtsräte, das bislang nicht annähernd ausgeschöpft ist. Denn wer sich den üblichen Networking-Ritualen verweigert, denkt oft auch anders – und ist deshalb prädestiniert für frische, kluge Impulse.
Sicher, einige Personalberater haben ihre blinden Flecke erkannt. Sie versuchen deshalb mit mehr oder weniger innovativen Methoden, die Verborgenen aufzustöbern. Zum Beispiel, indem sie akribisch auf LinkedIn und XING recherchieren oder Gründer- und Frauennetzwerke anzapfen.
Doch ein Blick auf die Zusammensetzung typischer Aufsichtsräte zeigt: Das reicht bislang nicht. Zwar sind die Gremien in den letzten Jahren bunter und vielfältiger geworden. Aber GründerInnen, Digital Natives und KI-Profis wirken meist wie Farbkleckse auf einem Schwarz-Weiß-Bild. Vielfach drohen ihre Impulse zu verpuffen.
Nachfolgeplanung 4.0
Deshalb sind neue Strategien und Methoden gefragt, die Netzwerk-Effekte aushebeln. Aufsichtsräte brauchen mehr Experten, die ihre Nominierung nicht in erster Linie Verdiensten in der Vergangenheit oder ausgeprägten Networking-Fähigkeiten verdanken. Sondern ihrer Zukunftskompetenz.
Ein interessantes Instrument in diesem Zusammenhang sind Matching-Plattformen, auf denen sich Kandidaten selbst registrieren können. Denn dann müssen sie weder ständig Veranstaltungen besuchen noch eine Social-Media-Offensive starten, um auf dem Radar zu landen. Ein spannender Lebenslauf und nachgewiesene Kompetenzen reichen meist aus.
Aufsichtsratschefs wiederum – oder Vorsitzende von Nominierungsausschüssen – können gezielt nach bestimmten Qualifikationen und anderen Merkmalen suchen. So lässt sich der Kreis der Kandidaten gezielt erweitern – und die Chance auf einen Volltreffer erhöhen. Zudem gibt es bereits innovative, digitale Dienstleistungen welche die Effektivität eines Gremiums auswerten und die Nachfolgeplanung weiter erleichtern und verbessern können.
Aufsichtsräte sollten deshalb bereit sein, das zu machen, was sie von Vorständen fordern: Neue, alternative Wege beschreiten.
Geschrieben von Daniel Schönwitz