Ein Virus bedroht die Vielfalt
Die Corona-Krise war für viele Frauen eine besondere Belastung – und könnte sich bei anstehenden Beförderungsrunden als Karrierebremse entpuppen. Aufsichtsräte müssen verhindern, dass die Männerquote in Führungszirkeln wieder steigt.
Julia Jäkel schlug bereits im April Alarm. „Mir scheint, dass sich in Zeiten der Krise neue Führungszirkel formieren“, schrieb die Gruner + Jahr- Chefin in einem Gastbeitrag für die ZEIT. Der sogenannte Corona-Kreis, den das Medienunternehmen installiert habe, sei „weniger weiblich als sonst bei uns üblich“.
Homeoffice bedeute „für Tausende Frauen gerade vor allem home und wenig office“, kritisierte Jäkel – und verwies auf Jutta Allmendiger: Der Soziologin zufolge seien es „vor allem die Frauen“, die dafür sorgen, „dass die Kinder im Homeschooling mitkommen“.
Jäkels Fazit lautete: Die Corona-Krise zeige, „wer in Deutschland wirklich, wirklich entscheidet“. Und dass Wirtschaft und Gesellschaft in Sachen Diversität längst nicht so weit seien wie erhofft.
Inzwischen zeigen erste wissenschaftliche Erkenntnisse, dass es in der Tat Grund zur Besorgnis gibt. Die Corona-Pandemie „erschwert Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem für Mütter“, warnt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Wegen der „bereits zuvor bestehenden ungleichen Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit in den meisten Familien“ befürchten die Experten, dass Mütter in den letzten Monaten „einen großen Teil der zusätzlich notwendigen Kinderbetreuung“ übernommen haben.
Lackmustest für die Unternehmenskultur
In vielen Fällen besteht damit die Gefahr, dass sich das Virus als Karrierebremse entpuppt. Frauen, die bisher beste Chancen hatten, könnten bei anstehenden Beförderungsrunden den Kürzeren ziehen. Weil männliche Kollegen zuletzt präsenter waren. Weil sie wegen der hohen Belastung Arbeit liegen lassen mussten. Oder weil Entscheider fürchten, dass sich Frauen auch in Zukunft zwischen Job und Familie zerreiben.
Das wäre fatal – für die Betroffenen, aber auch für ihre Unternehmen. Denn Vielfalt ist kein weiches Wohlfühlthema, sondern ein knallharter Wettbewerbsfaktor: Studien belegen eindeutig, dass Unternehmen mit vielfältigen Führungsgremien erfolgreicher sind. Und wirtschaftlichen Erfolg haben nach der Pandemie zahlreiche Unternehmen bitter nötig.
Die Pandemie wird damit auf einer weiteren Ebene zum Lackmustest für die Unternehmenskultur: Sie wird gnadenlos offenlegen, ob Bekenntnisse zur Vielfalt wirklich ernst gemeint waren.
Aufsichtsräte sind deshalb jetzt gefordert, Rückschritte zu verhindern. Mehr noch: In den meisten Unternehmen gilt es dafür zu sorgen, dass die Frauenquote (weiter) steigt. Denn oft sind Männer in deutschen Chefetagen noch weitgehend unter sich, wie gerade eine Studie der gemeinnützigen Allbright-Stiftung zeigte. Demnach liegt der Anteil von Managerinnen in den Vorständen der 160 größten börsennotierten Unternehmen gerade mal bei zehn Prozent.
Was mich optimistisch stimmt
Das Thema gehört deshalb weit oben auf die Agenda der Aufsichtsgremien: Sie müssen bei der Nachfolgeplanung für den Vorstand analysieren, ob weiblichen Kandidatinnen corona-bedingte Nachteile drohen. Und sie müssen operative Entscheider dafür sensibilisieren, dies auch bei Beförderungen auf die zweite oder dritte Führungsebene zu prüfen.
Hoffnung macht mir in diesem Zusammenhang, dass der Anteil der Frauen in den Aufsichtsräten in den letzten Jahren auf rund ein Drittel gestiegen ist. Immer mehr Gremienmitglieder wissen deshalb aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, Kinder und Karriere unter einen Hut zur bringen.
Ihr Auftrag ist es jetzt, die übrigen Aufsichtsräte zu sensibilisieren und einen Corona-Schock für die Vielfalt zu verhindern. Alles andere würde Pläne für einen gesetzliche Frauenquote von 25 Prozent in mindestens vierköpfigen Vorständen befeuern. Ich sehe das Vorhaben skeptisch, weil ich überzeugt bin, dass Unternehmen die Freiheit brauchen, die besten Kandidaten in den Vorstand zu holen, unabhängig vom Geschlecht.
Aber klar ist auch: Wenn die Wirtschaft Worten nicht endlich Taten folgen lässt, darf sich niemand beschweren, dass der Gesetzgeber eingreift.
Geschrieben von Daniel Schönwitz