Während die Frauenquote in den Vorständen langsam steigt, kristallisiert sich ein weiteres Diversity-Problem heraus: In vielen Gremien fehlt Expertise auf den Wachstumsmärkten der Zukunft.
Die Frauenquote ist eine große Prämisse aber nicht die einzige
Vom vielbeschworenen neuen „Deutschlandtempo“ kann bei der Frauenquote keine Rede sein: Der Anteil der weiblichen Vorstandsmitglieder in deutschen DAX-Unternehmen steigt nur langsam. Laut „Women-on-Board-Index“ lag er zuletzt im Durchschnitt bei 17,1 Prozent. Das ist zwar ein spürer Fortschritt; 2015 waren es gerade mal fünf Prozent. Aber noch immer sind sechs von sieben Vorständen männlich.
Immerhin: Zahlreiche Aufsichtsräte haben Besserung gelobt, auch weil der Gesetzgeber und Aktionäre Druck machen. Die Frauenquote dürfte deshalb weiter steigen.
Ein weiteres Diversity-Problem scheinen Überwachungsgremien dagegen nicht auf dem Radar zu haben: In den Chefetagen fehlt es an Expertise für neue Wachstumsmärkte in Afrika, Lateinamerika und Südasien. Das ist für Unternehmen gefährlich, weil etablierte Märkte meist nur noch begrenzte Wachstumschancen bieten. Zudem steigen infolge geopolitischer Spannungen vielerorts die Risiken.
Aufsichtsräte sollten deshalb auch jenseits der Frauenquote die Diversity in den Führungsgremien analysieren und einen genauen Blick auf weitere Dimensionen der Vielfalt werfen, wie die ethnische Herkunft und Nationalität sowie die Erfahrungen der Vorstandsmitglieder im Ausland.
Vorstände kennen sich aus, wo es früher gut lief
Umfassende Analysen zu diesen beiden Faktoren gibt es nicht, aber wir können uns der Sache annähern: Laut einer 2022er EY-Studie haben 39 Prozent der Vorstände in den Dax-40-Konzernen einen ausländischen Pass. Davon sind fast die Hälfte US-Amerikaner, Briten oder Franzosen. Manager mit asiatischen, lateinamerikanischen oder gar afrikanischen Wurzeln sind dagegen seltene Ausnahmen.
Hinzu kommt: Wer die Lebensläufe von Top-Managern studiert, wird zwar feststellen, dass viele von ihnen langjährige Erfahrungen im Ausland haben – unabhängig von der Nationalität. Aber auch hier dominieren die USA und europäische Nachbarländer.
Erstaunlich verbreitet sind darüber hinaus Stationen in Fernost; insbesondere in China haben sich viele Top-Manager ihre beruflichen Sporen verdient. Zufall? Vermutlich nicht: Der lange Aufschwung im „Reich der Mitte“ dürfte manche Konzernkarriere befeuert und den Weg nach oben geebnet haben.
Überspitzt formuliert können wir festhalten: Deutschlands Führungsriege kennt sich dort besonders gut aus, wo es in der in der Vergangenheit auch gut lief.
Warum Manager unbekanntes Terrain meiden
Das birgt das Risiko, dass sie auf die Vergangenheit setzen statt auf die Zukunft. Dass sie positive Entwicklungen auf bekanntem Terrain fortschreiben und Risiken unterschätzen. Und dass sie es versäumen, ihre Unternehmen früh auf den Wachstumsmärkten der Zukunft in Stellung zu bringen.
Insbesondere fällt auf, dass zahlreiche Entscheider Afrika noch immer mit großer Skepsis betrachten. Dabei zeigen Zahlen der Weltbank eindeutig: Der Kontinent hat in den letzten 20 Jahren stetige Fortschritte gemacht. Ob Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, Geburtenraten oder Anschlüsse ans Stromnetz – trotz zwischenzeitlicher Rückschläge ging es bei wichtigen Indikatoren kräftig aufwärts.
Wer aus der Ferne nach Afrika blickt, sieht aber vor allem schlagzeilenträchtige Krisen und Katastrophen. Langsame und stetige Verbesserungen fallen dagegen kaum auf, wie der schwedische Wissenschaftler Hans Rosling in seinem Bestseller „Factfulness“ eindrucksvoll herausgearbeitet hat.
Experten vom Kieler Institut für Weltwirtschaft warnen Vorstände deshalb eindringlich, die Volkswirtschaften im Süden zu unterschätzen: Afrika sei „der Kontinent der ungenutzten Chancen“, heißt es. Wer die Region „nur mit Krise verbindet, unterschätzt das Potenzial gewaltig“.
Es lohnt sich deshalb auf die Wissenschaft zu hören. Die junge, digitalaffine Bevölkerung mit großem Unternehmergeist, verstärkte Infrastruktur-Investitionen und die neue kontinentale Freihandelszone sprechen dafür, dass das nächste China in Afrika liegt. Es ist deshalb höchste Zeit, Vor- und Pauschalurteile korrigieren und Expertise aufzubauen – gerade in der Führungsetage.
Geschrieben von Daniel Schönwitz
Aufsichtsrat, Board, Gastautoren